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Interview mit Frau Dr. Henriette Rösch
Was sind die größten Herausforderungen für die OA-Transformation in den Geistes- und Sozialwissenschaften aus Sicht der Bibliotheken?
Ich möchte die Beantwortung konkret mit einem beispielhaften Blick auf die Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie meiner Universität, die Universität Leipzig, beginnen:
Die Publikationen dieser Fakultät verteilen sich etwa zu gleichen Teilen auf Veröffentlichungen von Zeitschriftenartikeln auf der einen und auf Monografien und Beiträge in Sammelbänden auf der anderen Seite. Veröffentlicht wird in rund 100 Verlagen, darunter zahlreiche z. T. sehr kleine Verlagen und Fachgesellschaften, die nur eine Zeitschrift oder Reihe verlegen. Ein relevanter Teil der Publikationen – in Zeitschriften und Monografien – erscheint immer noch ausschließlich in gedruckter Form.
Damit sehe ich drei wesentliche Herausforderungen für die OA-Transformation in den Geistes- und Sozialwissenschaften:
- Die Entwicklung von tragfähigen OA-Modellen im Monografien-Bereich:
Setzt man hier, analog zum Zeitschriftenmarkt, auf publikationsbasierte Modelle, braucht es angemessene und transparente Kosten- und Finanzierungsstrukturen. Geht man den Weg, dass Bibliotheken – unabhängig vom Publikationsoutput der eigenen Einrichtung – kollaborativ oder konsortial die OA-Stellung von Büchern finanzieren, müssen hierfür zwischen den Bibliotheken verbindlichere Strukturen der Kostenverteilung etabliert werden. - Die Vielzahl der Akteure in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Verlagslandschaft mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen:
Es ist notwendig, auch kleinere Verlage und Herausgeber_innen zu ermächtigen, die OA-Transformation professionell zu gestalten. Insgesamt müssen verbindliche Standards in den Prozessen und Nachweisen etabliert werden, damit Bibliotheken diese Inhalte verwalten und nachweisen können. So nützt es – überspitzt gesagt – wenig, wenn ein engagierter Verlag seine Hauszeitschrift als PDF ohne persistenten Identifier und maschinenlesbare Metadaten auf seiner Website frei veröffentlicht. - Die Motivation der Wissenschaftler_innen:
Anders als im STM-Bereich sind aufgrund der spezifischen Verlagslandschaft die Auswirkungen der Zeitschriftenkrise mit ihren Preisexplosionen auf dem Publikationsmarkt geringer. Die Notwendigkeit einer umfassenden Transformation des Marktes scheint demnach weniger zwingend. Hier braucht es also andere Anreize und Argumente, um die Forschenden für die OA-Transformation zu begeistern und für ihre Mitwirkung im Transformationsprozess zu werben. Daneben setzt OA das elektronische Publizieren voraus, welches aber noch nicht von allen Wissenschaftler_innen gewünscht wird.
Was ändert sich durch Open Access an Ihrem Selbstverständnis?
Alles – oder vielleicht auch nichts. Nichts, weil die OA-Transformation die Funktion der Bibliotheken, nämlich die umfassende Literaturversorgung, konsequent weiterführt. Und alles, weil der Weg, wie diese Literaturversorgung als Open Access gewährleistet werden kann, dazu führt, dass das Verhältnis der Bibliotheken sowohl gegenüber den Verlagen als auch gegenüber der Wissenschaft neu justiert wird. Insgesamt werden die Bibliotheken deutlich selbstbewusster, fokussierter und stärker aus der OA-Transformation herausgehen als sie hineingegangen sind.
Welcher Tricks bedarf es, um kollaborative Open Access-Projekte mit anderen Bibliotheken und Verlagen praktisch umzusetzen?
Ziel sollte nicht sein, Bibliotheken „auszutricksen“, sondern kollaborative OA-Projekte so zu gestalten, dass sie überzeugend. Dazu gehört:
- Transparente Kostengestaltung: Es muss nachvollziehbar sein, wie Preise sich zusammensetzen und wie sich die Kosten durch die Anzahl der Beteiligungen für die einzelne Einrichtung verändern.
- Fachliche Qualität & inhaltliche Relevanz: Es darf nicht der Eindruck entstehen, Verlage nutzen dieses Modell als „Resterampe“ für ansonsten schwer verkäufliche Titel.
- Unkompliziertes Prozedere: Der Verwaltungsaufwand für die Bibliotheken muss gering sein.
- Modulare Angebote: Es muss auch für kleine Häuser mit geringen Etats möglich sein, sich zu beteiligen.
Außerdem denke ich, dass es der Bereitschaft zur Beteiligung zuträglich wäre, die Beteiligung an der Finanzierung der OA-Stellung am Produkt, am besten in den Metadaten, sichtbar zu machen, beteiligt war. Dass das gerade bei großen kollaborativen Modellen eine Herausforderung ist, ist mir bewusst.
Welche Empfehlungen haben Sie in diesem Zusammenhang für Verlage und Bibliotheken?
Die Beteiligung an (kollaborativen) OA-Produkten ist eine fachliche Entscheidung und sollte daher von den entsprechenden Entscheidungsträger_innen (etwa Fachreferent_innen) getroffen und möglichst über die Fachbudgets finanziert werden. Um die Nachhaltigkeit solcher Modelle zu sichern, müssen sie sich inhaltlich tragen und bewähren – und damit mehr sein als eine politische Geste.
Daneben wünsche ich mir eine Diskussion über Strukturen einer verbindlicheren Kostenverteilung zwischen den Einrichtungen – damit verbunden ist auch die Frage, welche Rolle hier Landes- und Staatsbibliotheken in der Literaturversorgung haben können und wie die Forschungsförderung OA-Publikationsmodelle jenseits der APCs unterstützen kann.
Zentral aber ist, dass OA-Inhalte, insbesondere wenn eine unmittelbare eigene finanzielle Beteiligung vorliegt, zwingend in die Kataloge der Bibliotheken gehören – unabhängig davon, ob dies über die Verbünde, die Indexanbieter oder Plattformen wie das DOAB passiert. Diese Inhalte gehören zum Bestand und müssen sichtbar und suchbar sein.