- Sie sind hier: Startseite
- News
- »Mehr Sichtbarkeit, mehr Nutzungsmöglichkeiten, mehr Souveränität für die Autor*innen«
News
»Mehr Sichtbarkeit, mehr Nutzungsmöglichkeiten, mehr Souveränität für die Autor*innen«
Alexandra Jobmann,
stellvertretende Leiterin der Bibliothek der HCU
1. Warum finden Sie Open Access in den Social Sciences und Humanities wichtig?
Für mich ist es wichtig, dass Menschen mit einem Bedarf an wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, seien es nun Forschende, Lehrende, Studierende oder allgemein Interessierte, ohne technische und finanzielle Barrieren auf die gewünschten Materialien zugreifen und diese nutzen können. Das gilt nicht nur für die neuesten medizinischen Erkenntnisse im Rahmen einer Pandemie, sondern auch für z. B. geschichtliche, soziologische oder philosophische Abhandlungen über eine Gesellschaft im Ausnahmezustand. Oder einen Kunstband. Und im Gegensatz zu den Naturwissenschaften fehlt es bei den Geistes- und Sozialwissenschaften noch an tragbaren Konzepten, was die Umsetzung und die Finanzierung von solchen Zugängen betrifft. Das liegt vor allem daran, dass das Publikationsverhalten und die Textarten sich stark von den Natur- und Lebenswissenschaften unterscheiden und damit einhergehende Finanzierungsmöglichkeiten für eine Open-Access-Publikation sehr viel stärker Aushandlungssache zwischen den einzelnen Akteuren und wenig standardisiert sind. Hinzu kommt, dass an manchen Stellen erst geprüft werden muss, ob sich die Publikation in einer digitalen Variante überhaupt herstellen lässt ‒ und wenn ja, wie und in welcher Form. Hier ist es wichtig, dass die Fachcommunities den Prozess hin zu mehr Open Access steuern und mitgestalten.
Freier Zugang zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen bedeutet auf der einen Seite, mehr Sichtbarkeit und mehr Nutzungsmöglichkeiten (und daraus abgeleitet neue Forschung), auf der anderen Seite bedeutet es aber auch mehr Souveränität für die Autor*innen. Ein Werk, das elektronisch im Open Access erscheint, wird leichter und schneller gefunden, kann ganz anders verbreitet und rezipiert werden und belässt gleichzeitig die Verwertungsrechte beim Autor/ bei der Autor*in statt beim Verlag. Es gibt ihm/ihr die Nutzungshoheit über sein/ihr Werk zurück. Gleichzeitig kann eine höhere Sichtbarkeit der elektronischen Version zu einer stärkeren Nachfrage der Printversion führen. Und all das zusammen führt zu einer Stärkung der Geistes- und Sozialwissenschaften an sich.
2. Verändert sich Ihre Perspektive darauf durch Ihre Tätigkeit als stellvertretende Leiterin der Bibliothek der HafenCity Universität?
Nein, die Perspektive ändert es nicht. Was sich ändert ist der Fokus des Engagements. Die HafenCity Universität (HCU) als Universität für Baukunst und Metropolenentwicklung umfasst sowohl ingenieurwissenschaftliche als auch kulturwissenschaftliche Studiengänge: Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik und Stadtplanung (Bachelor und Master), Kultur der Metropole (nur Bachelor) sowie Urban Design und Resource Efficiency in Architecture and Planning (nur Master). Außerdem gibt es ein fachübergreifendes, interdisziplinäres Studienangebot. In meiner Funktion als stellvertretende Leiterin der Bibliothek muss ich alle Lehr- und Forschungsschwerpunkte der HCU im Blick haben und prüfen, welche Möglichkeiten der Publikationsunterstützung für unsere Lehrenden und Forschenden vorhanden oder denkbar sind und wie wir die Kultur der Offenheit über die Lehre schon bei den Studierenden verankern können. Dabei sind natürlich die fachspezifischen Besonderheiten zu berücksichtigen. Durch ein Kulturwandel-Projekt im Rahmen von Hamburg Open Science ist hier schon viel Vorarbeit geleistet worden, auf der ich aufbauen kann. Meine Priorität liegt also in der Bewusstseinsbildung und damit in der (Aus-)Bildung von Multiplikator*innen für mehr Offenheit in Forschung und Lehre. Open Access (und auch jede andere Form von Openness) muss gelebt werden, um die Strukturen zu durchdringen, und das geht am besten, indem künftige Forschende schon jetzt damit vertraut gemacht und Räume geschaffen werden, ein solches Arbeiten auszuprobieren.
3. Welche Zwischenergebnisse finden Sie besonders wichtig und motivierend?
Zum einen stimmt mich die Entwicklung der ENABLE!-Community sehr positiv. Die bisherige Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure (Verlage, Bibliotheken, Repositorien, Buchhandel, Intermediäre) verläuft konstruktiv und ohne Konflikte. Natürlich wird viel diskutiert und ausgehandelt, aber das gehört ja dazu, und durch das gemeinsame Mission Statement verfolgen alle das gleiche Ziel und ziehen letztlich an einem Strang. Die Stärke und das gemeinsame Engagement dieser Community – kombiniert mit der wohlwollenden Einstellung von BMBF und DFG dazu – wird der Open-Access-Bewegung in den Geistes- und Sozialwissenschaften einen ordentlichen Schub geben. Jetzt müssen wir nur noch die Herausgeber*innen und Autor*innen für ENABLE! gewinnen!
Zum anderen lässt sich beobachten, dass auch die Forschungsförderung und wissenschaftspolitische Player die Besonderheiten der Geistes- und Sozialwissenschaften in den Blick genommen haben. So hat die Arbeitsgruppe ›Wissenschaftliches Publikationssystem‹ im Rahmen der Schwerpunktinitiative ›Digitale Information‹ der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen eine Handreichung zur ›Förderung wissenschaftlicher Buchpublikationen im Open Access (Open-Access-Bücher)‹[1] erarbeitet. Und in dem ab dem 01.01.2021 gültigen Förderprogramm ›Open-Access-Publikationskosten‹ der DFG können finanzielle Mittel für die Publikation eines Open-Access-Buches beantragt werden. Auch im Bereich der Publikationsinfrastruktur gibt es Bewegung für mehr Open Access in den Geistes- und Sozialwissenschaften. So probieren mehrere Verlage das Subscribe-to-Open-Modell für ihre Zeitschriften (z.B. Berghahn Open Anthro[2]) oder ein Crowdfunding für die Open-Access-Publikation ganzer e-Book-Pakete aus (z.B. transcript[3] und wbv Open Library[4]). Hinzu kommen die immer stärker werdenden academic oder scholar-led-geführten Verlage, Zeitschriften und Publikationsplattformen, die ein nicht-kommerzielles Open-Access-Publizieren anbieten und an vielen Stellen kooperativ an einem offenen Publikationssystem für die Geistes- und Sozialwissenschaften arbeiten (z.B. ScholarLed[5] oder copim[6]).
4. Was sind aus Ihrer Warte die nächsten Etappenziele?
Die nächsten Etappenziele für ENABLE! sind für mich die Entwicklung der Governance-Struktur und das Gewinnen der Fachgesellschaften für die Community und damit auch der Herausgeber*innen und Autor*innen. Wir haben zurzeit ein gewähltes Übergangssteuerungsgremium, in dem ich auch Mitglied bin, zur Organisation der Community und werden zu Beginn von 2021 einen Organisationsentwicklungsprozess starten, an dessen Ende dann eine feste Struktur etabliert ist und Verantwortlichkeiten festgelegt wurden. Uns schweben da neben der Steuerungsgruppe flexible thematische Arbeitsgruppen, Plenums-Veranstaltungen und eine abgestimmte Öffentlichkeits- und Veranstaltungsarbeit vor. Was der ENABLE!-Community außerdem noch fehlt ist die Sichtweise der Herausgeber*innen und Autor*innen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, das wird immer wieder deutlich. Daher wollen wir das neue Jahr auch dafür nutzen, um bspw. die Fachgesellschaften ins Boot zu holen und darüber die Verbindung zu den Wissenschaftler*innen herzustellen.
[1] http://doi.org/10.3249/allianzoa.014
[2] https://www.berghahnjournals.com/page/berghahn-open-anthro
[3] https://www.transcript-verlag.de/open-library-politikwissenschaft#community2020
[4] https://www.wbv.de/de/openaccess/wbv-openlibrary.html
Weitere Informationen:
Alexandra Jobmann
HafenCity Universität Hamburg
alexandra.jobmann@hcu-hamburg.de