Die Preise für wissenschaftliche Bücher waren absurd hoch


Interview mit Dr. Sebastian Nordhoff, Geschäftsführer LangSci Press guG


1. Language Science Press ist ein sehr profilierter Open-Access-Verlag in der Linguistik. Wie begann Ihr Projekt?

Bei einem Treffen einiger mit der Freien Universität Berlin verbundenen Linguist*innen (Stefan Müller, Anatol Stefanowitsch, Adele Goldberg, Thomas Herbst) im Jahr 2012 wuchs die Einsicht, dass die Preise für wissenschaftliche Bücher absurd hoch sind und dass es so nicht weitergehen kann. Jede*r einzelne hatte Erfahrungen gemacht, die jeder Beschreibung spotteten.

Zur gleichen Zeit kam die Initiative ›Cost of Knowledge‹ von Tim Gowers auf, wo zum Boykott von Elsevier und anderen Großverlagen aufgerufen wurde.

Die Entscheidung fiel, nicht länger zu warten und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Martin Haspelmath am MPI für Evolutionäre Anthropologie war zeitgleich zu sehr ähnlichen Einschätzungen gekommen. Stefan Müller und Martin Haspelmath bereiteten also gemeinsam einen Antrag für das DFG-Programm ›Open-Access-Bücher für die Geisteswissenschaften‹ vor.

Dieser Antrag wurde im Dezember 2013 bewilligt. Von 2014 bis 2016 wurde mit der Anschubfinanzierung Language Science Press aufgebaut. Wir konnten auf die Publikationsplattform Open Monograph Press zurückgreifen, die gerade zugänglich gemacht worden war. Weiterhin war auch gerade WriteLatex gegründet worden, das später zu Overleaf werden sollte. Martin Haspelmath und Stefan Müller hatten innerhalb ihrer jeweiligen Communitys schon Unterstützung organisiert, sodass Language Science Press  mit sieben Reihen und einigen Manuskripten in der Pipeline starten konnte. Bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft in Marburg im März 2014 konnte das Projekt offiziell gestartet werden und um zu zeigen, dass es sich um einen Verlag mit Anspruch handelte, wurde bei der offiziellen Projekteröffnung auch gleich das erste Buch veröffentlicht: ›A typology of marked-S languages‹ von Corinna Handschuh. Stand heute haben wir über 120 Bücher veröffentlicht. 


2. Was waren die wichtigsten Argumente für die Verlagsgründung?

Schlechte Qualität und schlechter Service der bestehenden Verlage. Hohe Preise. Wissenschaftsfeindliche Praktiken wie Depublikation. Ein Beispiel: In den Autorenverträgen steht häufig eine Klausel ›Falls das Buch vergriffen ist und der Verlag eine Neuauflage ablehnt, fallen die Rechte an den Autor zurück‹. Diese eigentlich sehr sinnvolle Klausel führt aber im digitalen Zeitalter dazu, dass Verlage ältere Titel einfach als ›digital verfügbar‹ in ihren Katalog stellen, wenn diese vergriffen sind. Auch dann, wenn das Buch nicht digital verfügbar ist. Das Buch wird dann mit einem sehr hohen Preis ausgezeichnet. Falls jemand das Buch kaufen möchte, wird es eben digitalisiert, anderenfalls nicht. Diese Praxis führt dazu, dass ältere Werke nur zu prohibitiven Preisen bezogen werden können. Die Verlage machen mit dieser Praxis nicht wirklich Gewinn. Wesentlich wissenschaftsfreundlicher wäre es, den Autor*innen die Rechte zurückzugeben, damit diese auf ihren eigenen Seiten die PDFs verfügbar machen können. Vor dem Hintergrund von Prakiken wie dieser hat Language Science Press beschlossen, alle Rechte bei den Autor*innen zu belassen und nur  eine nicht-exklusive Rechteeinräumung zur Veröffentlichung via CC-BY zu verlangen.

3. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Unterschiede zwischen herkömmlichen Verlagen und Ihrem Projekt?

Language Science Press organisiert sich nach den Bedürfnissen der Wissenschaftler*innen. Wir machen, was der Wissenschaft nützt ‒ und was ihr nicht nützt, machen wir nicht. Manchmal braucht man aus einem Sammelband ein Kapitel, manchmal braucht man das ganze Buch. Aus unerfindlichen Gründen gibt es immer noch Verlage, wo man die Kapitel eines Sammelbandes alle einzeln herunterladen muss, falls man das ganze Buch möchte. Das verursacht unnötigen Aufwand und die Lösung des Problems ist technisch komplett trivial, aber aus irgendwelchen Gründen sperren sich viele traditionelle Verlage dagegen, den Forscher*innen einfach Zugang zu gewähren. Ein anderer Aspekt sind Artikel, die im Browser angezeigt werden, weil die Verlage die Wissenschaftler*innen an ihre Seite ›binden‹ wollen. Wissenschaftler*innen wollen aber nicht auf zehn verschiedenen Verlagsseiten Texte lesen, sondern ihre Literatur selbst organisieren. Das heißt, dass das Herunterladen von PDF-Dateien maximal einfach sein muss. Katalogseite aufrufen, Link [pdf] klicken, fertig.

Language Science Press ist ein sehr schlankes Unternehmen. Wir haben alle über Bord geworfen, was der Wissenschaft nicht zuträglich ist, bzw. haben wir die entsprechenden Abteilungen gar nicht erst aufgebaut.

Wir haben keine Lagerhaltung, da es print-on-demand gibt.

Wir haben keine komplizierten Autorenverträge, da wir nur CC-BY brauchen.

Wir haben keine Acquisition Editors, die um die Welt reisen, um die Community vom Verlag zu überzeugen, da wir die Community *sind*. Und uns verbunden Wisssenschaftler*innen sind auf jeder Konferenz.

Und wir haben keine Paywalls, die für sehr teures Geld erstellt, unterhalten und gewartet werden müssen, da wir keinen Sinn darin sehen, den Zugang zu Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung künstlich zu beschränken.

Wir werden häufig gefragt, wie viele Leute für Language Science Press arbeiten, um die 30 Titel pro Jahr zu produzieren. Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Die meiste Arbeit fällt offensichtlich bei den Forschenden an, also 30+ Personen im Jahr, aber das ist natürlich bei anderen Verlagen nicht anders, also berücksichtigen wir das mal nicht. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte haben wir zwei zu je 50 %, also eine VzÄ. Aber wir haben auch 57 Reihenherausgeber*innen, mehr als 400 Linguist*innen in den Editorial Boards der Reihen und mehr als 400 Freiwillige, die sich beim Community Proofreading beteiligen. Diese Einbindung und Beteiligung der Community ist der wesentliche Unterschied zu anderen Verlagen. Language Science Press ist von der Community getragen und getrieben. Die Sprachwissenschaft hat gezeigt, dass so ein Modell möglich und nachhaltig ist, dass sehr komplexe Bücher in so einem Modell erstellt werden können, und dass stets mehr Reihen aus anderen Gebieten der Sprachwissenschaft diesem Modell folgen wollen, jüngst Open Germanic Linguistics und Open Romance Linguistics.
 

 4. Wie funktioniert Ihr Finanzierungsmodell? Wo sehen Sie Grenzen?

 Wir haben ein Unterstützernetzwerk von 100+ Institutionen weltweit, von Melbourne bis Yale, die uns 1000 EUR im Jahr geben, für eine Periode von drei Jahren. Dabei arbeiten wir mit Knowledge Unlatched zusammen. Die Periode 2018-20 geht gerade zu Ende und wir sind dabei, Geld für 2021-23 einzusammeln. Das ist kein Selbstläufer, da die einzelnen Institutionen und Bibliotheken überzeugt werden wollen, aber das ist auch gut so. Wenn wir es nicht schaffen, die Forscher*innen vom Wert einer Plattform wie Language Science Press zu überzeugen, braucht es auch kein Language Science Press mehr. Bisher sieht es aber ganz gut aus. Unklar ist allerdings, wie man im Rahmen des derzeitigen Modells den Output von derzeit 30 Büchern im Jahr auf z.B. 100 steigern könnte.
 

5. Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft?

Mehr X Science Presses in den anderen Disziplinen, also ›Archeology Science Press‹ bis ›Zoology Science Press‹. Das Modell trägt und ist mit dem ›Cookbook for Open Access Books‹ hinreichend dokumentiert, aber der Impuls für eine solche Plattform muss immer aus der wissenschaftlichen Community selber kommen.

Weitere Informationen: https://langsci-press.org/