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»Wir haben uns der Beförderung des Open Access in der Rechtswissenschaft verschrieben«
Herr Vogel, Sie sind Leiter des Fachinformationsdiensts für internationale und interdisziplinäre Rechtsforschung (FID <intR>²) der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Würden Sie den FID kurz vorstellen?
Der seit 2014 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Fachinformationsdienst für internationale und interdisziplinäre Rechtsforschung (kurz: FID <intR>²) ist in einem Transformationsprozess aus dem DFG-Sondersammelgebiet Recht (SSG Recht) – welches von 1975 bis 2013 ebenfalls von der Staatsbibliothek zu Berlin betreut wurde – sowie der Virtuellen Fachbibliothek Recht hervorgegangen und ist eine zentrale disziplinäre Infrastruktur zur deutschlandweiten Versorgung mit Literatur, Informationen und Mehrwertservices und Teil des überregionalen Systems der Fachinformationsdienste an wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland.
Primäre Zielgruppe des Fachinformationsdienstes sind die Wissenschaftler:innen aus den verschiedenen Bereichen der internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung. Hierzu zählen insbesondere rechtswissenschaftliche Professuren und Institute, strukturierte Forschungsverbünde sowie Institutionen und Fachverbände der Rechtswissenschaft. Darüber hinaus kooperiert der FID mit den juristischen wissenschaftlichen Bibliotheken, um die inhaltlich-konzeptionelle Weiterentwicklung des Fachinformationsdienstes, die über die Grundversorgung hinausgeht, voranzutreiben.
Dieser Dienst zeichnet sich durch eine bedarfsgerechte Erwerbungs- und Lizenzierungstätigkeit sowie serviceorientierte Bereitstellungs- und Vermittlungsangebote für die rechtswissenschaftliche Forschung auf den Gebieten des internationalen Rechts sowie der interdisziplinären Bezüge im Recht aus. Dies erreicht der FID im direkten Austausch mit der Fachcommunity und unter Inanspruchnahme fachlicher Begleitung und Beratung durch seinen neunköpfigen Beirat.
Die Virtuelle Fachbibliothek <intR>² hat sich als zentraler Sucheinstieg und Informations- sowie Serviceportal etabliert. Insbesondere mit dem Virtuellen Lesesaal kommt der FID seinem Auftrag nach, der Fachcommunity verstärkt elektronische Ressourcen des Spezialbedarfs anzubieten und überregional zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich bildet die Virtuelle Fachbibliothek die Bereiche ab, in denen sich der FID besonders engagiert. Hierzu gehört u.a. neben der Retrodigitalisierung forschungsrelevanter Druckbestände (durch das Angebot eines DoD Service) die Beförderung des Open Access in der Rechtswissenschaft mittels des disziplinären Dokumenten- und Publikationsservices <intR>²Dok.
Der FID <intR>² engagiert sich sehr für Open Access-Publikationen. Wie sieht dieses Engagement konkret aus?
Obwohl die rechtswissenschaftliche Fachcommunity als nicht besonders Open Access-affin bekannt ist, hat sich der FID <intR>² von Anfang an der Beförderung des Open Access in der Rechtswissenschaft verschrieben. Erster großer Meilenstein war der Onlinegang des fachlichen Repositoriums <intR>²Dok. Hierbei handelt es sich um den ersten rein rechtswissenschaftlichen Dokumenten- und Publikationsservice, der ausschließlich Open Access-Inhalte enthält und allen Angehörigen rechtswissenschaftlicher Forschungseinrichtungen zur kostenfreien öffentlichen Zugänglichmachung sowie zur elektronischen Langzeitarchivierung persistent adressierbarer und damit dauerhaft zitierfähiger Erst- und Zweitveröffentlichungen zur Verfügung steht.
Mit der gebündelten Präsentation zahlreicher externer Projekte leistet <intR>²Dok darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Sichtbarkeit bereits etablierter Open Access-Formate sowie der Open Access-Transformation in der Rechtswissenschaft. Aber auch außerhalb von <intR>²Dok wird der FID nicht müde, im Rahmen von Vorträgen, Vorortterminen an rechtswissenschaftlichen Einrichtungen bzw. Bibliotheken, durch die Organisation eigener Veranstaltungen, die ganz individuelle Beratung von Wissenschaftler:innen oder auch die Beteiligung an Netzwerken (z.B. jurOA) die Akzeptanz des Open Access in der Rechtswissenschaft weiter zu steigern und dessen positive Auswirkungen im Hinblick auf Sichtbarkeit, Rezeption und Zitierhäufigkeit juristischer Fachveröffentlichungen zu veranschaulichen.
2021 wurde das Projekt ConsOrtiA ins Leben gerufen. Was sind Idee und Ziel dahinter? Wie sind Sie konkret vorgegangen?
Mit der konkreten Umsetzung dieses Projekts, das Gegenstand des DFG-Fortsetzungsantrags des Fachinformationsdienstes für die Förderperiode 2021 bis 2023 war und so auch bewilligt worden ist, haben wir bereits im Frühjahr 2021 – gemeinsam mit der Staatsbibliothek zu Berlin als Kooperationspartnerin im Kompetenzzentrum für die Lizenzierung elektronischer Ressourcen (KfL) – begonnen.
Das Projekt ConsOrtiA hat den konsortialen Open-Access-Freikauf von Neuerscheinungen zur internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung zum Ziel und stellt einen weiteren wichtigen Beitrag des FID zur Open Access-Transformation in der Rechtswissenschaft dar. Dem Grunde nach handelt es sich um dasselbe Prinzip, wie es Dr. Christoph Schindler in seinem ENABLE!-News-Beitrag unter dem Titel „Vorabfinanzierung von Open Access E-Books über eine Subskriptionsgemeinschaft von Bibliotheken“ beschreibt. Insoweit brauche ich an dieser Stelle nicht mehr so weit auszuholen.
Auch wir hatten bereits Vorerfahrungen in diesem Bereich mit unserem Projekt „Open Access IT Law“ (2019-2021), einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Peter Lang Verlag (später kam auch noch Nomos dazu) und Knowledge Unlatched zum Aufbau eines Open Access-E-Book-Pools zum Digitalrecht. In einem Ausblick haben wir in Aussicht gestellt, nicht nur andere Verlage, sondern auch weitere Bereiche der internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung in den Fokus gleichgelagerter Aktivitäten zu nehmen.
Und mit ConsOrtiA haben wir das in Angriff genommen. Allerdings hatten wir uns mit dem KfL diesmal für einen anderen Kooperationspartner entschieden, der uns dabei unterstützt, an die verschiedenen Verlage heranzutreten und das konsortiale Angebotsverfahren zu organisieren.
Konkret sahen die Planungen folgendermaßen aus:
In zwei Gebotsrunden sollten für die Erscheinungsjahre 2022 und 2023 eine Auswahl von jeweils zehn Buchprojekten aus unterschiedlichen Verlagen zur Open Access-Transformation vorgeschlagen und mit einer Grundfinanzierung durch den FID unterstützt werden. Die Vorschläge der gemeinsam freizukaufenden Neuerscheinungen sollten vom wissenschaftlichen Beirat des FID <intR>² auf Basis der nachfolgenden formalen Selektionskriterien sowie unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Profile und Literaturversorgungsaufträge der potenziell zu beteiligenden Bibliotheken autorisiert werden:
- Neuerscheinungen aus der Frontlist 2022 bzw. 2023 (inklusive Neuauflagen bereits erschienener Werke)
- inhaltlicher Bezug zur internationalen bzw. interdisziplinären Rechtsforschung (einschließlich rechtsvergleichender Studien)
- keine Werke aus dem Segment der bibliothekarischen Grundversorgung mit Basisliteratur (Einführungen, Studienbücher, Examinatorien etc.)
Um den Kostenaufwand für die einzelnen Bibliotheken zu begrenzen, wurden 40 Beteiligungen als Mindestgröße eines Finanzierungskonsortiums angesetzt. Für den Fall, dass diese Zahl in der ersten Pledging-Runde nicht erreicht wird, sollten die infolge des Nichtzustandekommens des geplanten Freikaufverbunds eingesparten Eigenmittel des FID <intR>² zur Erhöhung des Sockelbetrags in einer zweiten Ausschreibungsrunde für das Publikationsjahr 2023 eingesetzt werden (Rückfalloption).
Da die Open Access-Transformation des wissenschaftlichen Publikationssystems ein gemeinsames Anliegen der lokalen wie der überregionalen Literaturversorgungsinfrastruktur ist, bestand Hoffnung auf eine möglichst breite Beteiligung über die juristischen Seminar- und Institutsbibliotheken hinaus. Über die konkreten Rahmenbedingungen einer Beteiligung hat das KfL Anfang Oktober 2021 im Rahmen einer Umfrage zur Angebotsabgabe informiert, die über den Nationallizenzen-Verteiler verbreitet wurde. Zusätzlich wurden Fachreferent:innen und die Leitungen rechtswissenschaftlicher Bibliotheken in Deutschland, Österreich und der Schweiz durch den FID zur Angebotsabgabe eingeladen.
Mit der offiziellen Einladung zur Angebotsabgabe wurde auch die konkrete Titelliste bekanntgegeben, die nach dem oben beschriebenen Verfahren zustande gekommen ist. Hierbei handelte es sich um insgesamt 10 Titel aus den Verlagen Nomos, Brill und Jan Sramek.
Haben sich die mit dem Projekt verbundenen Erwartungen erfüllt?
Das kommt natürlich immer auf die Betrachtungsweise an. Am 08. November 2021 endete die Angebotsfrist mit dem Ergebnis, dass zu wenige Bibliotheken ein Angebot abgegeben hatten, sodass das Finanzierungskonsortium in dieser ersten Runde nicht zustande gekommen ist.
Aus diesem Blickwinkel haben sich die Erwartungen natürlich nicht erfüllt. Da es sich jedoch um ein Projekt handelt, haben wir uns dadurch nicht entmutigen lassen, sondern haben die Chance gesehen, Veränderungen für die geplante zweite Antragsrunde und Feinjustierungen bezüglich des Verfahrens vorzunehmen. In einem ersten Schritt wurde versucht herausfinden, woran möglicherweise eine Beteiligung an Finanzierungskonsortium gescheitert sein könnte.
Zur Ermittlung möglicher Gründe wurde vom 11.01. bis 30.01.2022 eine Umfrage bei den Fachreferent:innen und den Leitungen der juristischen Fachbereichsbibliotheken durchgeführt. Die Zielrichtung der Umfrage war, ob eine zweite Antragsrunde für die rechtsbibliothekarische Community von Interesse wäre und welche Rahmenbedingungen bzw. Konditionen gegeben sein müssten, damit ein solches Konsortium für die einzelne Bibliothek wirtschaftlich und inhaltlich attraktiv wäre.
Mit einer Beteiligung von knapp 50 % wurde die Umfrage sehr gut angenommen. Auf Grundlage der Rückmeldungen hat sich der FID entschieden, eine zweite Antragsrunde unter dem Label ConsOrtiA zu organisieren. Für die Optimierung des Verfahrens konnten wertvolle Erkenntnisse aus der Umfrage geschöpft werden, von denen einige hier kurz noch erläutert werden sollen.
Zeitlich würde die zweite Runde zum Wechsel vom dritten zum vierten Quartal 2022 starten (also etwas früher als die erste Antragsrunde), da zu diesem Zeitpunkt in der Regel in den Bibliotheken bekannt ist, welche Restmittel noch zur Verfügung stehen. Die Liste wird erneut konkrete Titel enthalten, die der FID gemeinsam mit seinen Beiratsmitgliedern auswählt. Zur Absicherung der Titelliste wird der FID jedoch zusätzlich noch zwei freiwillige Kolleg:innen aus der rechtsbibliothekarischen Community einbeziehen, was durch die Teilnehmenden der Umfrage angeregt worden ist. Angestrebt wird diesmal ein Portfolio aus max. 20 Titeln, die thematisch weiterhin im Bereich der internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung angesiedelt sein werden.
Die potenziellen Bieterbibliotheken können diesmal jedoch Vorschläge einreichen, welche Themen im genannten Schwerpunktbereich von besonderem Interesse sind. Ein konkreter Aufruf wird hierzu noch gegenüber der Bibliothekscommunity erfolgen und die weitere Einbeziehung der Bibliotheken gibt dem FID damit die Möglichkeit, in einem projektbezogenen Kontakt mit den potenziellen Bietereinrichtungen zu bleiben und weiter über den jeweiligen Projektstand zu informieren.
Es wird erneut aus dem Angebot von maximal drei Verlagen ausgewählt werden, wobei das KfL vorab mit 10 Fachverlagen im In- und Ausland verhandeln wird. Um mögliche Doppelerwerbungen auszuschließen, wird es sich wiederum um Titel aus der Frontlist handeln. Schließlich soll es in der zweiten Runde eine Staffelung des Gesamtpreises pro beteiligter Einrichtung geben, was jedoch bedeutet, dass bei einem niedrigeren Gesamtpreis pro Einrichtung mehr beteiligte Bibliotheken benötigt werden, damit das Konsortium zustande kommt.
Für die zweite Runde bringt der FID einen Sockelfinanzierungsbetrag von 40.000 € ein, womit die Kosten für die einzelnen Bibliotheken überschaubar gehalten werden sollen. Dieser wichtige Punkt resultiert als Erkenntnisgewinn aus der Umfrage, da sie hat erkennbar werden lassen, dass es in den meisten Einrichtungen keinen gesonderten Etat für die Beteiligung an OA-Finanzierungskonsortien gibt und solche Beträge aus dem regulären (teilweise sehr begrenzten) Erwerbungsetat erbracht werden müssen.
So blicken wir der zweiten Antragsrunde insgesamt optimistisch entgegen und hoffen so, gemeinsam mit den juristischen und anderen Bibliotheken weitere Schritte in Richtung Open Access-Transformation gehen zu können.
Weitere Informationen:
Ass. iur. Ivo Vogel
Wissenschaftliche Dienste
Leitung Fachinformationsdienst für internationale
und interdisziplinäre Rechtsforschung / <intR>²
Academic Services and Specialised Information Service Law
Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
eMail: ivo.vogel@sbb.spk-berlin.de
www.staatsbibliothek-berlin.de
https://vifa-recht.de