Seit nunmehr 15 Jahren veröffentlicht De Gruyter geisteswissenschaftliche Publikationen im Open Access. Wie hat sich der Markt in der Zeit verändert und wo sehen Sie den Verlag diesbezüglich in 10 Jahren?
Als ich 2012 im Lektorat von De Gruyter anfing, hatten wir gerade die ersten Open-Access-Bücher veröffentlicht und bereiteten gerade die Gründung unserer ersten Open-Access-Zeitschrift in der Linguistik vor. Zu dieser Zeit erschien weniger als eine Handvoll unserer geistes- und sozialwissenschaftlichen Neuerscheinungen OA und das blieb auch über einige Jahre so. Ich erinnere mich noch gut daran, wie aufregend es war, in dieser Phase ein Open-Access-Buch zu betreuen. Die Standards für das Impressum und die Vertragsgestaltung waren noch nicht etabliert, und das Verständnis für Creative Commons-Lizenzen zum Beispiel war nicht so weit verbreitet wie heute.
Ab 2017/2018 begann das Open-Access-Buchprogramm sich stärker und schneller zu entwickeln, aufgrund einer sich langsam, aber stetig erweiternden Förderlandschaft für Monografien und zunehmender Empfehlungen und Mandate, Open Access zu publizieren. Dies führte zu einer steigenden Nachfrage von Autorinnen und Autoren nach diesem Publikationsmodell. Bei De Gruyter veröffentlichen wir mittlerweile deutlich über 200 Neuerscheinungen im Jahr im Open Access. In einigen Fachbereichen entspricht dies mittlerweile mehr als einem Viertel aller Buchpublikationen eines Jahres. Diese Entwicklung ist natürlich fantastisch, bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass viele dieser OA-Publikationen aus gut ausgestatteten und in häufigen Fällen mit OA-Mandaten ausgestatteten Drittmittelprojekten wie beispielsweise ERC-Projekten oder DFG-Sonderforschungsbereichen stammen.
Trotz der sehr begrüßenswerten Etablierung von OA-Monografienfonds an deutschen Universitäten ist es immer noch so, dass auch in Deutschland der Zugang zu OA-Publikationsmitteln begrenzt ist. Wir freuen uns, dass wir zumindest für einige Fachbereiche durch unsere „Transformationspakete“ eine konsortiale Finanzierung von Open-Access-Publikationen etablieren konnten. Dies ermöglicht es Autorinnen und Autoren ohne OA-Finanzierungsmöglichkeit, diesen Weg der Publikation zu wählen.
Wo werden wir in 10 Jahren stehen? Im Zeitschriftenbereich sehen wir gerade, wie herausfordernd es ist, die Open-Access-Transformation für ein überwiegend geistes- und sozialwissenschaftliches Portfolio voranzutreiben und nachhaltig sowie global zu gestalten – im Einklang mit den Publikations- und Fachkulturen. Dieser Weg ist lang, und im Buchbereich wird er sogar noch länger sein. Daher denke ich, dass wir auch in zehn Jahren in einer Realität leben werden, in der verschiedene Publikationswege und -formate nebeneinander existieren werden.
Im September haben Sie bekannt geben, dass sie die OA-Transformation im Zeitschriftenbereich bis 2028 realisieren und mit Subscribe to Open gestalten wollen. Was sind die Beweggründe dafür? Und welche Erfahrungen haben Sie mit dem Modell bisher gemacht?
Wir begannen 2018/2019, uns damit zu beschäftigen, wie wir unsere Subskriptionszeitschriften in den Open Access überführen konnten. Gut 70% unseres Portfolios sind geistes- und sozialwissenschaftliche Zeitschriften, von denen viele im 19. Jahrhundert im Zuge der Ausdifferenzierung der Wissenschaften entstanden sind. Wir schlossen erste Transformationsverträge, so genannte Publish- und Read-Abkommen, insbesondere im europäischen Ausland ab. Dadurch ermöglichten wir, Autorinnen und Autoren der teilnehmenden Einrichtungen Open Access zu publizieren.
In Deutschland, wo Springer und Wiley bereits nationale Transformationsverträge hatten, gestaltete sich die Suche nach einem passenden Modell für uns als sehr herausfordernd. Das lag vor allem daran, dass unsere Autoren- und Vertriebsstrukturen nicht übereinstimmten. Unser Ziel war es, unsere lang etablierte Allianzlizenz für die Geistes- und Sozialwissenschaften mit einer soliden Open-Access-Komponente auszustatten. Dabei mussten wir das wirtschaftliche Risiko in einem vertretbaren Rahmen halten und einen Weg finden, der den Publikationskulturen und Finanzierungsstrukturen geistes- und sozialwissenschaftlicher Periodika gerecht wurde.
Die Erfahrung zeigte, dass APC-basierte Zeitschriften in den Geistes- und Sozialwissenschaften nicht funktionierten. Um 2015 hatten wir einige solcher Zeitschriften gegründet und über mehrere Jahre versucht, diese zu etablieren - leider ohne sichtbaren Erfolg. Wir waren uns bewusst, dass insbesondere in den Geisteswissenschaften der Anteil von Publikationen, die nicht im klassischen Sinne Forschungsartikel waren, erheblich war. Diese sogenannten "non-research-Artikel" waren jedoch nicht förderfähig im Rahmen von APC.
2020/2021 begannen wir parallel, uns mit Subscribe to Open (S2O) zu beschäftigen, einem Modell, das vom US-amerikanischen Verlag Annual Reviews entwickelt wurde. S2O ermöglicht die jahrgangsweise Überführung von Zeitschriften in den Open Access, ohne Publikationsgebühren zu erheben. Gemeinsam mit dem Nationalen Open-Access-Kontaktpunkt und dem Herausgebergremium der Zeitschrift "Bibliothek Forschung und Praxis" starteten wir einen Piloten, den wir im Rahmen des HSS-Konsortiums in den Jahren 2022 und 2023 erfolgreich auf 16 Zeitschriften ausweiteten.
Diese Entwicklung bedeutete jedoch auch, dass wir als Verlag nun zwei verschiedene Transformationsansätze, also S2O und Publish & Read, verfolgten. Und dies war neben der zunehmenden wissenschaftspolitischen Dynamik Anlass, uns über ein Jahr sehr intensiv damit auseinanderzusetzen, wie die Transformation für unsere Periodika gelingen kann. Dabei analysierten wir die Strukturen unserer Autorschaft, unseres Portfolios und unserer Vertriebsmärkte. Wir führten Gespräche mit Bibliotheken und Forschungsförderern und werteten unser S2O-Pilotprogramm aus.
So sind wir zum Schluss gekommen, dass S2O das Modell ist, dass es ermöglicht, relativ zügig, also in den nächsten fünf Jahren, 270 Subskriptionszeitschriften sukzessive in den Open Access zu überführen, ohne in die bestehenden Publikationskulturen und -praxen der Zeitschriften einzugreifen und allen Autorinnen und Autoren, also unabhängig von Herkunft und Mittelausstattung, die Open-Access-Publikation zu ermöglichen und damit die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit ihrer Forschung zu erhöhen. Erste Auswertungen unserer S2O-Pilotzeitschriften zeigen, dass sich die Nutzung im ersten S2O-Jahr im Vergleich zu den Vorjahren hinter der Bezahlschranke um das 6-fache erhöht hat. S2O ermöglicht somit genau das, was seit jeher die Kernaufgabe des Verlags ist: Die bestmögliche Verbreitung der von uns veröffentlichten Werke zu gewährleisten und Reichweite zu schaffen.
De Gruyter ist einer der führenden Verlage für Open-Access weltweit und arbeitet auch eng mit Forschungsförderern zusammen, um Open Access in der Wissenschaft zu etablieren. Was würden Sie aus dieser Perspektive sagen sind die größten Herausforderungen in der Finanzierung von Open Access?
In den vorherigen Antworten wurde bereits deutlich, dass ein egalitärer Zugang zu Open-Access-Publikationen von großer Bedeutung ist und wissenschaftsethisch geboten ist. Es besteht die Gefahr, dass der Abbau der Zugriffsbeschränkungen auf wissenschaftliche Literatur neue Hürden in den Publikationsmöglichkeiten schafft, dass die Paywall to Access durch eine Paywall to Publish ersetzt wird. Und dieser Thematik wird aktuell und zu Recht viel Aufmerksamkeit geschenkt.
Aus meiner Perspektive stellt eine der Herausforderungen bei der Finanzierung von Open Access dar, dass diese national, regional oder lokal organisiert und aufgesetzt wird, während die wissenschaftliche Forschung und Kommunikation global ist. In dieser Spannung zwischen global agierender Wissenschaft und notwendigerweise national oder lokal gestalteten Förderrichtlinien und Finanzierungslogiken entstehen dann das, was ich hier als "unintended consequences" bezeichnen möchte.
Ein Beispiel aus dem Buchbereich verdeutlicht dies: Ein Beitrag eines Sammelbandes entsteht im Rahmen eines Drittmittelprojektes der Autorin. Sie hat die Auflage oder zumindest die Empfehlung, alle Forschungsergebnisse, die aus dem Drittmittelprojekt resultieren, im Open Access zu publizieren, und es stehen dafür auch Mittel zur Verfügung, ihr Kapitel im Sammelband OA zu publizieren. Dies führt dazu, dass hybride Sammelbände entstehen, in denen einzelne Beiträge hinter einer Bezahlschranke stehen, während andere frei zugänglich sind. Aus meiner Sicht ist dies keine sinnvolle Publikationsform. Der Forschungsförderer hat zwar sein Ziel erreicht, dass alle Ergebnisse der von ihm geförderten Projekte frei zugänglich sind, fördert jedoch gleichzeitig gemischte Publikationsformate, die nicht wünschens- und erstrebenswert wert sind.
Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Wissenschaft, Forschungsförderung, Bibliotheken, Intermediäre und Verlage gemeinsam über die Ausgestaltung der Open-Access-Transformation beraten, wie es in der ENABLE Community geschieht.
Weitere Informationen:
Dr. Christina Lembrecht
Senior Manager Open Research Strategy
eMail: christina.lembrecht@degruyter.com